Mama, warum schreist du so laut?

Sibylle Russenberger | 
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Physische und psychische Gewalt an Kindern ist nicht akzeptabel, da gibt es kein Wenn und Aber. Bild: Pexels

Heute schreibe ich über ein Thema, welches mir persönlich am Herzen liegt. Es geht um den Respekt gegenüber unseren Kindern. Mir fällt es in der letzten Zeit vermehrt auf, dass Kinder von ihren Bezugspersonen angeschrien oder körperlich grob angefasst werden. Mich persönlich macht es traurig, solche Situationen mit anzusehen und ich überlege mir oft, ob ich mich für das Kind einsetzen soll. Klar – häufig beobachtet man Situationen, welche nur Momentaufnahmen sind: Man weiss nicht, was vorher oder in der Vergangenheit passiert ist. Und nein, ich bin keine Übermutter, die nie laut wird oder die Nerven stets behält. Natürlich nicht. Mir ist bewusst, dass Urteilen heikel ist, weil man die Hintergründe von fremden Familien nicht kennt. Und ich weiss, wie schwierig es ist, Geduld mit den Kindern zu haben, denn sie haben ihren eigenen Willen, welcher selten mit den eigenen Plänen übereinstimmt. Doch sollten wir nie vergessen, dass sie noch klein sind. Sie versuchen, die Welt zu verstehen, sie brauchen Vorbilder, und vor allem sind sie verletzlich. Auch wenn sie uns noch so ärgern, sollten wir sie mit Respekt und Anstand behandeln.

Und nein, ich bin keine Übermutter, die nie laut wird oder die Nerven stets behält. Natürlich nicht.

Zuerst ein Paradebeispiel: Letzte Woche beobachtete ich eine Frau auf dem Spielplatz, die nach Hause wollte, der Kleine jedoch keine Anstalten machte, sich zu bewegen. «Verdammt nochmal, jetzt habe ich schon zehnmal gesagt, dass wir uns beeilen müssen und du sitzt da und spielst», schrie sie laut. Das Kind sah seine Mama verwirrt an und fragte: «Mama, warum schreist du denn so laut?» Solche Situationen passieren ständig, manchmal auch mir. Was ich damit sagen möchte: Ich bin überzeugt, dass das besagte Kind einfach nur spielen wollte und ihm der Ernst der Lage nicht bewusst war. Es hat sich sichtlich erschreckt, dass seine Mutter so laut wurde. Ich möchte damit nicht sagen, dass Kinder kleine Engel sind, aber sie sind noch nicht fähig, die Verantwortung zu übernehmen, pünktlich zu Hause zu sein. An dieser Stelle möchte ich euch ein Buch empfehlen: «Meine Grenze ist dein Halt» von Nora Imlau. Sie beschreibt, wie man liebevoll Stopp oder eben «wir gehen nach Hause» sagt und dabei klare Grenzen setzt, ohne zu schreien oder das Kind zu diskriminieren.

Nun möchte ich aber zwei Situationen schildern, welche ich am Sonntag in einer Schaffhauser Badi beobachten musste und die mich dazu veranlasst haben, diesen Text zu schreiben.

Ein Kind, ungefähr 2,5 Jahre alt, spritzte ein Gleichaltriges mit einer Wasserpistole nass. «Damian*, hör sofort auf damit, siehst du nicht, dass Ella* das nicht mag?», schrie die Mutter von weitem. Damian sah das offenbar nicht und zielte weiter auf sein Gspändli. Daraufhin sprang die Mama auf, riss dem Kind die Wasserpistole voller Wucht aus der Hand und spritzte ihrem Kind damit mehrere Sekunden mitten ins Gesicht. «So, jetzt weisst du, wie das ist», sagte sie und warf das Spielzeug auf den Boden. Damian verfiel im ersten Moment in einen Schockzustand und fing dann an zu weinen. Getröstet wurde er nicht. Stattdessen diskutierte die Mutter mit einer Freundin darüber, dass der Kleine es sonst ja nie lernt und er ruhig weinen soll, er sei ja selbst schuld.

Liebe Mama von Damian, ich kann mir vorstellen, dass du deinem Sohn bestimmt schon tausendmal gesagt hast, er solle nicht auf Kinder zielen. Und glaub mir, ich weiss, wie anstrengend es ist, wenn die Kinder nicht zuhören und man immer wieder das Gleiche sagen muss. Es zerrt an den Nerven und manchmal kann man nicht mehr geduldig sein. Aber wenn du ihn nicht mit Respekt behandelst, wie kannst du dann erwarten, dass er lernt, die Grenzen anderer zu akzeptieren?

Eine weitere Situation ereignete sich bei der Dusche. Eine Familie mit zwei Kindern war auf dem Weg nach Hause. Dem Vater war es wichtig, dass die Kinder vorher duschen. Der Vierjährige hielt einen Fuss unter den Wasserstrahl und hüpfte auf die Seite. «Ui, das ist mir viel zu kalt, ich möchte hier nicht duschen», sagte er und schaute zu seinem kleinen Bruder, den die kalte Wassertemperatur offenbar nicht störte. «Tim*, jetzt mach nicht so ein Drama, wir müssen nach Hause. Wenn du dich nicht freiwillig unter die Dusche stellst, dann übernehme ich das.» Der Junge versuchte, davonzurennen, und man kann sich vorstellen, was danach folgte. Der Vater packte seinen Sohn, riss ihm die Badehose vom Körper und hielt ihn unter die kalte Dusche – lange. Tim schrie wie am Spiess, was die Eltern nicht zu interessieren schien. Ihm wurden die Haare unsanft gewaschen und das Shampoo war überall. Im Gesicht, in den Augen. «Tu nicht so, du hattest die Chance, freiwillig zu duschen», schrie der Vater. Als die Prozedur beendet war, sass der kleine Tim wie ein Häufchen Elend auf dem Boden und weinte. «Dein Bruder macht auch nicht so ein Theater wie du.» «Zieh dich jetzt an, oder soll ich das machen?»

Lieber Papa von Tim, es war heiss an dem Tag, unglaublich heiss. Da kann eine kalte Dusche wohl nicht so schlimm sein, hast du wohl gedacht. Doch für Tim war das Wasser offensichtlich zu kalt. Könnte er das nächste Mal durch die Dusche rennen, zu Hause duschen oder sich zum Beispiel mit einem Lappen waschen? Du möchtest bestimmt, dass dein Kind die Grenzen anderer akzeptiert. Dann finde ich es wichtig, dass auch seine Anliegen ernst genommen werden. Wenn du dich mit Gewalt durchsetzt, wie denkst du, wird sich Tim später höchstwahrscheinlich verhalten?

Manch einer wird nun denken: «Ist doch nicht so schlimm, heutzutage werden Kinder nicht mehr richtig erzogen.» Fändest du es auch «nicht so schlimm», wenn man dich so behandeln würde? Gerade von der älteren Generation höre ich oft, dass Kinder heutzutage den Eltern auf der Nase herumtanzen und dass man Grenzen setzen muss. Und ja, Grenzen sind wichtig. Aber Erziehung geht auch liebevoll und mit Respekt. Kinder lernen von Vorbildern. Das sind wir, die Eltern, Grosseltern, Kitabetreuer oder andere Bezugspersonen. Lest das Buch von Nora Imlau ;-)

Physische und psychische Gewalt an Kindern ist nicht akzeptabel, da gibt es kein Wenn und Aber.

Manchmal sind wir wahnsinnig gefordert in unserem Alltag und mögen nicht mehr geduldig sein. Es gibt Zeiten, da treiben uns die Kinder in den Wahnsinn und nichts funktioniert, wie wir es uns vorstellen. Natürlich passiert es, dass man mal laut wird und es danach bereut. Wir sind alle Menschen. Aber wenn dir alles über den Kopf wächst und es nicht mehr geht: Hol dir Hilfe.

Ich möchte es auf den Punkt bringen: Physische und psychische Gewalt an Kindern ist nicht akzeptabel, da gibt es kein Wenn und Aber.

*Namen wurden aus Schutz der Kinder geändert.

Hier schreibt Sibylle:

 

37 | Mama von Kleinkind und Baby | Kaffee- und Mate-Trinkerin | Alles-unter-einen-Hut-Bringerin | Schaffhauserin mit bizli Fernweh | sibylle.russenberger@shn.ch

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