Schwanger werden, wenn es für die Firma passt? Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm ordnet «Social Egg Freezing» ein

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Ein Embryologe bei der Vitrifizierung von Eizellen für die Kryokonservierung im IVF-Labor der OVA IVF Klinik in Zürich. Bild: Key /Michael Buholzer

Das «Social Egg Freezing» und die «Gefrierprämie» von Unternehmen werden kontrovers diskutiert. Margrit Stamm, Erziehungswissenschaftlerin, warnt vor emotionalem Druck auf Frauen und plädiert für gesellschaftliche Massnahmen, die Müttern helfen, Familie und Karriere besser zu vereinbaren.

Erstgebärende Frauen sind durchschnittlich 31,3 Jahre alt. Vor 20 Jahren waren es 28 Jahre. Dass die Mutterschaft auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird, ist eine Folge veränderter weiblicher Karrierechancen. Aber nicht nur, manchmal fehlt auch ein geeigneter Partner.

Einfrieren von Eizellen

«Social Egg Freezing», das Einfrieren von Eizellen, ist im Trend. Wenn Frau ihre biologische Uhr ticken hört, kann sie ihren Kinderwunsch mit dieser Methode auf später verschieben. Unternehmen wie Facebook, Apple oder das Schweizer Pharmaunternehmen Merck übernehmen die Kosten des Verfahrens, das gut 10000 Franken kostet. Eine solche «Gefrierprämie» erscheint als Pragmatismus. Wer sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden will, friert ein und vertagt die Entscheidung auf später.

Doch die Meinungen sind mehr als gespalten. Positiv Eingestellte sehen in der Gefrierprämie einen Schritt in Richtung weiblicher Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Die Biologie sei stärker als jede Ideologie.

Für andere ist das nur ein Heilsversprechen. Man setze Frauen vor allem unter emotionalen Druck. Manche Feministinnen warnen gar vor einem technologischen Imperativ, der Frauen einer Diktatur der Machbarkeit unterwerfe. Und Dritte plädieren für Mutter Natur: natürlich zeugen, natürlich gebären, das Schicksal akzeptieren.

Teuer und tricky

Bisher fehlte eine kritische Diskussion. Erstens ist das Einfrieren von Eizellen ein teurer und invasiver Eingriff. Laut einer Studie der ETH Zürich greifen nur etwa zehn Prozent der Frauen mit eingefrorenen Eizellen später auch wirklich darauf zurück. Und bei über 35-Jährigen ist das Verfahren nur dann Erfolg versprechend, wenn genügend qualitativ gute Eizellen vorhanden sind. Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, liegt je nach Alter bei etwa 25 Prozent.

Zweitens ist die Sache mit der Gefrierprämie tricky, wirkt sie doch besonders frauenfreundlich. Wer möchte nicht für Firmen tätig sein, die eine späte Mutterschaft unterstützen und zum Einfrieren der Eizellen motivieren, um reproduktive Zeit zu gewinnen? Solche Angebote haben jedoch nicht nur einen logischen, sondern einen ebenso trügerischen Beigeschmack. Denn offenbar gelten Kind und Karriere als nicht vereinbar. Wer somit als Mitarbeiterin nicht schwanger wird, ist gut für die Gewinnmarge des Betriebs.

«Mutterschaft ist immer ein grosses Abenteuer. Auch nach vierzig.»

Margrit Stamm, Erziehungswissenschaftlerin

Doch solche Schwarz-Weiss-Malereien blenden eine zentrale Frage aus: Warum soll es später einfacher sein, Kind und Karriere vereinbaren zu können, als in jüngeren Jahren? Späte Mutterschaft hat vielleicht Vorteile, weil Frau schon Karriere gemacht hat. Trotzdem ist Mutterschaft immer ein grosses Abenteuer. Auch nach vierzig und mit mehr Lebenserfahrung lassen sich Frauen auf etwas ein, das sie nicht kontrollieren können.

Anstatt die Gefrierprämie zu vermarkten, sollten wir eher auf andere gesellschaftspolitische Massnahmen setzen. Beispielsweise auf Mütter über vierzig, die auch heute noch auf dem Arbeitsmarkt unsichtbar bleiben. Manche sind mit ihrem beruflichen Vorankommen besonders unzufrieden. Notwendig sind deshalb lebensspannenübergreifende Konzepte im Sinne eines «Work Freezings». Mütter sollen sich in der intensivsten Familienphase zurücknehmen können, um sich dann nachher im Beruf wieder richtig reinzuhängen. Dafür braucht es für Wiedereinsteigerinnen oder solche, die sich neu orientieren wollen, gezielte Massnahmen. Sie würden Frauen erlauben, den familiären Verpflichtungen und der Karriereplanung mehr Zeit und mehr Musse einzuräumen. Das gilt genauso für Väter.

Margrit Stamm ist Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin der Uni Freiburg.

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