In den Dokumentenbergen den Überblick behalten

Vincent Fluck | 
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Ein Papierhaufen dieser Grösse entsteht, wenn man alle Dokumente ausdruckt, die es für eine Anmeldung beim Europäischen Patentamt braucht. Bild: Roberta Fele

Wer für eine Erfindung ein Patent anmeldet oder das Patent eines Mitbewerbers unter die Lupe nimmt, muss mehrere Hundert Dokumentseiten durchforsten. Ein kleines Schaffhauser Unternehmen hat eine Softwarelösung entwickelt, die diese Arbeit stark erleichtert.

IpQuants? Kaum jemand in Schaffhausen kennt das kleine Unternehmen, das gegenüber dem Bahnhofsgebäude seinen Hauptsitz hat. Immerhin: Im Onlinearchiv der «Schaffhauser Nachrichten» hat es ein paar Spuren hinterlassen. Da liest man, dass es 2018 in Zürich gegründet und dann nach Schaffhausen verlegt wurde. Dies unter anderem, weil einer der beiden Gründer in Dachsen wohnt und weil die Wirtschaftsförderung dazu beitrug. Weiter ist zu lesen, dass IpQuants im Jahr 2019 eines von elf Unternehmen war, die für den Innovationspreis der Industrievereinigung infrage kamen. Und diesen Frühling kündete das Unternehmen schliesslich eine «strategische Partnerschaft» mit der französischen Firma Questel an, die auf ihrem Gebiet Weltmarktführerin sei.

Internationales Expertenteam

Im zweiten Stock, über dem Schnellimbiss Subway, befindet sich das spartanisch eingerichtete Büro von Mitbegründer und Geschäftsführer Tony Afram. Hier wird, so scheint es, konzentriert gearbeitet; für Äusserlichkeiten bleibt keine Zeit. Neben ihm ist nur noch seine Arbeitskollegin Sandra Baitler im selben Haus tätig. Mit allen anderen Arbeitskollegen wird online kommuniziert. Insgesamt besteht die Belegschaft aus 19 Personen, fünf davon in der Schweiz, die anderen in Deutschland, Griechenland und Bulgarien, alles handverlesene Experten auf ihrem Gebiet.

Tony Afram
Tony Afram und Sandra Baitler in einer Teambesprechung. Bild: Roberta Fele


Vom Maschinenbau zur Patentanwaltskanzlei

In Schweden aufgewachsen, studierte der aus einer christlich-aramäischen Familie stammende Afram Maschinenbau und mathematische Optimierung. 2002 trat er in eine renommierte Patentanwaltskanzlei in Köln ein und absolvierte berufsbegleitend die Ausbildung zum Patentanwalt. Zu dieser Zeit war der Elektrozulieferer Tyco Electronics – heute TE Connectivity – mit Hauptsitz in Schaffhausen ein Mandant der Kanzlei. Sie war auf der Suche nach einem Mitarbeiter mit den Fähigkeiten Aframs und so kam es, dass dieser mit seiner Familie nach Dachsen umzog. Später folgten fünf Jahre bei der Firma Leica Microsystems im sankt-gallischen Heerbrugg, wo er Leiter der weltweit tätigen Patentabteilung wurde. Da die meisten seiner Arbeitskollegen am Hauptsitz im deutschen Wetzlar stationiert waren, kam es, dass immer wieder umfangreiche Patentunterlagen per Eilkurier in die Schweiz geschickt wurden. Für Afram war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

Unzufriedenheit führt zur Geschäftsidee

Die Dokumente wurden fortan elektronisch bearbeitet und auf externen Plattformen zugänglich gemacht. Doch auch dieses System fand Afram umständlich, «weil damit der User gezwungen wird, sich an das Werkzeug anzupassen, statt dass der Arbeitsablauf auf die Person abgestimmt wird». So begann der 45-Jährige sich nebenberuflich mit Alternativen zu beschäftigen und tat sich mit Arbeitskollege Gianluca Tarasconi zusammen. Aus dem Hobby wurde mehr und ab 2016 beauftragten sie Programmierer, die ihnen halfen, einen Prototyp zu entwickeln. 2018 folgte die Gründung der Firma IpQuants. Dabei stehen die ersten beiden Buchstaben für «intellectual property» (geistiges Eigentum). Quants ist ein Begriff aus der Finanzwirtschaft und bezeichnet Personen, die mit Daten arbeiten. Die Plattform, die sie entwickelten, tauften sie Qthena – eine Abwandlung von Athena, der griechischen Göttin der Weisheit und der Strategie.

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Grosse Produktivitätssteigerung

Neben der Selektion benennt die Software auch gewisse Dokumente automatisch um, damit auf den ersten Blick ersichtlich ist, worum es geht. Bei Bedarf kann auch eine OCR-Texterkennung vorgenommen werden, um die Daten lesbar zu machen. Ein weiterer Vorteil: Die Bearbeitung erfolgt in einem einzigen Programm, es müssen keine zusätzlichen Applikationen geöffnet werden, was den Nutzer von banalen Arbeitsschritten entlastet. Laut Afram verlieren Wissensarbeiter, gemäss einer in der «Harvard Business Review» veröffentlichten Studie bis zu fünf Arbeitswochen pro Jahr mit unproduktiven Tätigkeiten dieser Art. Selbstverständlich arbeitet Qthena auch mit künstlicher Intelligenz (KI). Auf Basis des ChatGPT-Modells von OpenAI kann die Software beispielsweise ein Dokument zusammenfassen. Das Tool bedient sich dabei nicht des Wissens im Internet, sondern einer umfangreichen Datensammlung, die IpQuants selbst angelegt hat. So wird auch der Textoutput automatisch in der Sprache der Patentbranche verfasst. Auch Eingaben fürs Patentamt schreibt die KI.

Regionales Wachstum und Diversifizierung

Die Firma will weiter wachsen. Zum einen wird die bestehende Plattform ständig weiterentwickelt und Kundeninputs nach Möglichkeit umgesetzt. Afram möchte jedoch auch den Absatzmarkt vergrössern. Zu diesem Zweck ging die Firma im April dieses Jahres eine Zusammenarbeit mit der französischen Firma Questel ein, deren Produkte diejenigen von IpQuants gut ergänzen. Mit einem breiten Portfolio soll nun der amerikanische Markt bearbeitet werden. Ausserdem hat Afram bereits Diversifizierungsprojekte: «Es ist geplant, in Zukunft auch andere Branchen mit Qthena zu unterstützen», sagt er und spricht den Bereich der Marken, die Forschung und Entwicklung, das Vertragsrecht, das Insolvenzrecht und die Versicherungsbranche an. Chancen sieht er «überall da, wo mit ganz vielen Dokumenten gearbeitet wird».

Der (gekürzte) Text stammt aus dem Magazin Schaffhauser Wirtschaft.

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