Der schwierige Kampf gegen die «Bschiisser» in der Firma

Sie weisen grosses kreatives Potenzial auf, die «Bschiisser» unter den Arbeitnehmern – sie gaukeln eine Erkrankung vor, wo keine ist, um auf der faulen Haut zu liegen. Die Ausreden reichen dabei von der Vortäuschung einer gesundheitlichen Komasituation bis zum Kauf eines Arztzeugnisses in den Ferien im Ausland, wie der Zahltag an einem Anlass der IVS erfahren konnte. Eine kurze Abhandlung zu rechtlichen Fragen in Bezug auf den Beweiswert von Arztzeugnissen.
Dass der Anlass, welcher von der Personal- und Bildungskommission der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen (IVS) organisiert wurde, ausgebucht war, lässt schon darauf schliessen, dass das Thema brennt und gewisse Unsicherheiten bestehen. Diesem Missstand Abhilfe schaffen, sollte Dr. Markus Hugentobler, Arbeitsrechtsexperte beim Centre Patronal Bern und nebenamtlicher Richter beim Schaffhauser Obergericht. Er gab denn auch kräftig Gas und referierte ohne Punkt und Komma 90 Minuten zum Thema «Von der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit zur Invalidisierung sowie Beweiswert Arztzeugnis». Ein äusserst umfassendes Thema, von dem wir einen Aspekt, nämlich den Beweiswert des Arztzeugnisses, für Sie herauspickt haben.

Gehen wir, wie Referent Dr. Hugentobler, die ganze Thematik praktisch an: Peter Bill ist Mitarbeiter einer Grosshandelsfirma. Am 28. Februar kündigt ihm sein Arbeitgeber fristgerecht auf den 30. April. Am 1. März erkrankt Peter Bill für einen Tag und reicht ein Arztzeugnis ein. Mit dieser eintägigen Krankschreibung verschiebt sich sein letzter Arbeitstag einen Monat nach hinten. Müssen wir als Arbeitgeber dem Arztzeugnis Glauben schenken?
Beweislast Arbeitsunfähigkeit
Als Grundlage der ganzen Thematik gilt, dass die Beweislast von Krankheit oder Unfall beim Mitarbeiter liegt. Will Peter Bill seinen Lohn und seinen Kündigungsschutz behalten, liegt es also an ihm zu beweisen, dass er diese zugute hat. Drei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein: Erstens muss er die Krankheit oder den Unfall beweisen können, zweitens muss eine Arbeitsunfähigkeit bestehen und drittens muss ein Kausalzusammenhang gegeben sein. Peter Bill muss also belegen können, dass die Krankheit zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Zwei Kriterien als Beweis
Nun hat Peter Bill ja ein Arbeitszeugnis eingereicht. Reicht dies als Beweis aus? Der Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, führt Hugentobler aus, gilt nur als erbracht, wenn sie aufgrund der objektiven Gegebenheiten als sicher anzunehmen ist und keine erheblichen Zweifel daran bestehen. Eine «objektive Gegebenheit» wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter mit triefender Nase, niesend und verquollenen Augen zur Arbeit erscheint. Dies war bei Peter Bill nicht der Fall. Vielmehr besteht ein erheblicher Zweifel, dass das Arztzeugnis den wahren Tatbestand wiedergibt. Es stellt sich also die Frage, wann einem Arztzeugnis geglaubt werden muss, beziehungsweise wann ein Arztzeugnis angezweifelt werden darf. Die rechtliche Praxis nennt hierfür neun Fälle, in denen der Beweiswert eines Arztzeugnisses angezweifelt werden darf:
Ärztliche Schweigepflicht
Wir beschliessen als Arbeitgeber nun, Bills Arzt anzurufen. Dieser verweigert jedoch die Aussage und beruft sich auf seine ärztliche Schweigepflicht. Was können wir tun? Führt kein Weg daran vorbei, dem Arzt eine arbeitnehmerseitige Entbindung vom Arztgeheimnis einzureichen? Laut Hugentobler ist dies nicht zwingend notwendig. Die ärztliche Diagnose ist zwar sakrosankt und gehört nicht auf ein Arztzeugnis. Alle anderen Angaben auf dem Arztzeugnis dürfen jedoch abgefragt werden. Zum Beispiel, seit wann der Arbeitnehmer beim Arzt in Behandlung ist oder ob eine Behandlung tatsächlich stattgefunden hat. So ist in der Praxis beispielsweise ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis des telemedizinischen Arztzentrums Medgate, das nur aufgrund einer telefonischen Diagnose – also ohne Sichtung des Patienten – stattgefunden hat, im Streitfall nicht stichhaltig. Der Arzt ist verpflichtet, die Fragen zu beantworten und die Antworten erlauben in vielen Fällen, Rückschlüsse auf das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit zu ziehen.
Nachdem wir Peter Bill mit unseren Zweifeln konfrontiert haben, reagiert dieser empört und schickt am nächsten Tag eine Krankschreibung für weitere drei Wochen. Was können wir tun?
Beizug eines Vertrauensarztes
Herrschen begründete Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses, besteht grundsätzlich das Recht, einen Vertrauensarzt beizuziehen. Dies darf einfach nicht schikanös sein. Zudem empfiehlt Hugentobler, diesen Punkt am besten auch gleich im Personalreglement festzuhalten, um Diskussionen über dessen Zulässigkeit zu vermeiden. Wir schlagen Peter Bill also drei Vertrauensärzte im Fachgebiet seiner Erkrankung vor – drei, damit Peter Bill nicht einfach unseren einen vorgeschlagenen Arzt ablehnen kann.
Verweigerung führt zu Aufgabe des Lohnanspruchs und des Kündigungsschutzes
Verweigert Peter Bill den Besuch beim Vertrauensarzt, ist er als Arbeitsnehmer beweislos und da die Beweispflicht bei ihm liegt, besteht keine Arbeitsunfähigkeit, also kein Lohnanspruch und auch kein Kündigungsschutz mehr. Hugentobler rät, dies dem Arbeitnehmer klar zu vermitteln. Nimmt Peter Bill den Termin beim Vertrauensarzt wahr und dieser kommt zum Schluss, dass er nicht arbeitsunfähig ist, ist Peter Bill ebenfalls beweislos.
Gefälligkeitszeugnis
Was ist jedoch, wenn wir den Verdacht haben, dass Indiz Nummer neun im Fall von Peter Bill zutrifft, dass sein Arzt ihm also ein Gefälligkeitszeugnis ausgestellt hat? Könnten wir erklären, dass wir Arztzeugnisse von einem bestimmten Arzt nicht mehr zulassen? Nein. Einzige Einschränkung in diesem Bereich gilt für Arztzeugnisse aus dem Ausland. Hier darf (insbesondere nach Ferien) reglementarisch verlangt werden, dass es sich um ein Spitalzeugnis handeln muss oder ein Schweizer Arzt ein ausländisches Hausarztzeugnis inhaltlich bestätigt. Dies zeigte laut Hugenzobler schon sehr heilsame Wirkungen im Kampf gegen zu Discountpreisen ausgestellte Arztzeugnisse als Geschäftsmodell ausländischer «Geschäftsleute».
Gefälligkeitszeugnisse von Schweizer Ärzten können zudem beim Hausärzteverband Berufsverband der Schweizer Ärzte (FMH) angezeigt werden.
Verlassen wir den Fall Peter Bill und schauen noch ein paar weitere Punkte im Bereich Krankschreibung an. Zu Beginn haben wir gesehen, dass für diese auch die Arbeitsunfähigkeit nötig ist.
Behandlungsbedürftigkeit ist nicht Arbeitsunfähigkeit
Dies ist wichtig, da nicht jede medizinische Behandlungsbedürftigkeit auch automatisch zu einer Arbeitsunfähigkeit führt (siehe Indiz Nummer sechs). Beispielsweise kann ein Arbeitnehmer bei einer leichten Form von Heuschnupfen durchaus noch arbeiten. Und bei einem Zehenbruch kann ein Bürojob meist auch ausgeführt werden, wohingegen dies auf dem Bau nicht möglich ist.
Aus diesem Grund lohnt es sich im Zweifelsfall beim Arzt nachzufragen, da Ärzte zum Teil gar nicht wissen, was jemand arbeitet und ob die Person wirklich arbeitsunfähig ist.
Wichtig: Dauer der Absenz
Wichtig ist gemäss Hugentobler zudem auf die Dauer der Absenz zu achten:
In den meisten Personalreglementen wird eine Frist von drei oder vier Tagen ausgewiesen, während der kein Arztzeugnis eingereicht werden muss. Im Klartext heisst dies, dass dem Arbeitnehmer die ersten vier Tage ein Vertrauensbonus entgegengebracht wird, was jedoch im Umkehrschluss bedeutet, dass länger rückdatierten Arztzeugnissen nicht automatisch geglaubt werden muss. Wenn sich Vorfälle – zum Beispiel Montagsabwesenheiten – häuften, rät Hugentobler, die Anforderung künftig zu ändern und festzulegen, dass das Arztzeugnis bereits am ersten Tag abzugeben sei.
Laut Hugentobler haben die Schreiner dies in ihrem Gesamtarbeitsvertrag clever gelöst. Dort halten sie fest, dass ein Arbeitnehmer an seinem ersten Krankheitstag keinen Lohn bekommt.
Da gebe es sicherlich sehr viel weniger Montagskranke als in anderen Branchen…
Verlängerungszeugnis und zeitnahe Abgabe des Arztzeugnisses
Als weiteren Praxistipp gibt Hugentobler mit, dass auch wenn auf einem Arztzeugnis stehe, die Krankheit bestehe «bis auf weiteres», dies keine Freikarte für den kranken Arbeitnehmer sei. Nach jedem Monat sollte ein neues Arztzeugnis oder ein Verlängerungszeugnis eingereicht werden.
Weiter ist es wichtig, dass der Arbeitnehmer das Arztzeugnis zeitnah einreicht. Geschieht dies beispielsweise entgegen den vertraglichen Verpflichtungen rückwirkend ausgestellt erst nach 14 Tagen, ist das Unternehmen oft nur verpflichtet, die ersten vier Tage zu bezahlen (beziehungsweise, die im Personalreglement vereinbarte Dauer), die anderen zehn Tage muss der Arbeitnehmer selber tragen.
Der Arbeitnehmer untersteht zudem im Bereich Krankheit immer einer Bringschuld. Falls sich irgendetwas ändert, ist er verpflichtet, seinen Arbeitgeber über die Änderung zu informieren.