«Bald wird es die Gastronomie, wie wir sie kennen, nicht mehr geben»

Iris Fontana | 
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Renato Pedroncelli fordert einen grundlegenden Wandel in der Gastronomiebranche. Archivbild: Melanie Duchene

Corona, Teuerung, Fachkräftemangel, Konkurse: Die Gastronomie sieht sich mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Wir sprechen mit Renato Pedroncelli, Gastronomieberater und Präsident von Gastro Schaffhausen, über Krisen, Finanzierungsprobleme, neue Konzepte und die Umsetzbarkeit von Konsumtrends.

Herr Pedroncelli, befindet sich die Gastronomie in der Krise?

Renato Pedroncelli: Ja, sicher. Eigentlich ist die Gastronomie mehr als nur in der Krise. Meine persönliche Meinung ist, dass es in zwei bis drei Jahren die Gastronomie, die wir jetzt kennen, nicht mehr geben wird. Es wird sich alles total ändern müssen. Angefangen bei den Arbeitszeiten. Da werden wohl in Betrieben, die morgens und abends geöffnet haben, die Zimmerstunden durch Schichten abgelöst. Die Löhne sind, aufgrund des Fachkräftemangels, mittlerweile nicht einmal mehr das grosse Problem. So gibt es heute Gastrobetriebe, die ihren Mitarbeitern vor und nach der Saison je einen Monat bezahlte Ferien anbieten, obwohl in der Branche bereits sechs Wochen bezahlte Ferien verankert sind. Auch die Ausbildung muss ganz anders aufgegleist werden, ebenso die Öffnungszeiten. Es ist niemand mehr bereit, schon um sechs Uhr morgens im Betrieb zu sein und bis um Mitternacht zu bleiben. Und dies auch an den Wochenenden.

Hat Corona die Krise beschleunigt?

Pedroncelli: Ja, wir haben während Corona sehr viele Fachkräfte verloren. Viele haben in dieser Zeit Umschulungen gemacht und kaum einer will nun mehr zurück, da sie mit «normalen» Arbeitszeiten oft ein besseres Familienleben haben. All diese Faktoren wirken sich zu unseren Ungunsten aus.

Wie sieht die Situation im Kanton Schaffhausen aus? Laut einer Studie von Dun & Bradstreet sind Gastrobetriebe einem doppelt so hohen Konkursrisiko ausgesetzt wie solche der Durchschnittsbranche.

Pedroncelli: Es ist nicht so, dass nur wir im Kanton Schaffhausen betroffen sind. Auch die Agglomeration Zürich ist von einer grossen Pleitewelle betroffen – eine Region, die ein wesentlich höheres Kaufvolumen hat als Schaffhausen. Auch dort gehen Betriebe ein, schlicht, weil sie sich nicht mehr über Wasser halten können. Ein Hauptgrund sind die Pacht- und Mietzinsen, welche viel zu hoch sind. Heute können kaum noch zwei bis drei Mitarbeiter in einem Betrieb genug Geld erwirtschaften, um davon eine Familie ernähren zu können. Ein weiteres Problem besteht auf der Finanzierungsseite. Als Gastronomen befinden wir uns bei vielen Finanzierungsgebern im roten Ratingbereich. Welche Bank gibt einem jungen Gastronomen heute noch Geld, damit er etwas auf die Beine stellen kann? Natürlich ist ein solcher Kredit risikobehaftet, aber das ist in anderen Branchen auch so.

Hat Corona auch in diesem Bereich einen Einfluss? Findet nun eine Marktbereinigung statt?

Pedroncelli: Ja, viele Gastronomen haben heute Probleme und machen ihre Betriebe dicht, weil sie die erhaltenen Überbrückungskredite zurückzahlen müssen und daneben einfach nicht mehr genug Zusatzrendite erwirtschaften. Andererseits gibt es mehr Neueröffnungen in der Gastronomie als Schliessungen.

Setzen die Neuen einfach andere Konzepte um?

Pedroncelli: Ja, dies ist tatsächlich der Fall. Heute haben wir viel mehr Take-Aways. Wir haben indische, thailändische und mongolische Gastronomie in der Stadt – eine bedeutend grössere Vielfalt als früher. Das Problem dabei ist, dass die Betreiber vielmals Quereinsteiger sind, die mit ihrem Engagement oft ihre Pensionskasse «verbraten». Sie starten mit Enthusiasmus und haben das Gefühl, dass alle Einnahmen verdientes Geld sind. Aber spätestens Ende des zweiten Monats kommen dann Rechnungen für Abgaben und Mehrwertsteuern, mit denen sie nicht gerechnet haben. Und genau hier liegt das Problem. Bis vor einigen Jahren musste noch eine Ausbildung absolviert werden, um einen Gastronomiebetrieb führen zu dürfen. Heute kann jeder in einer Garage eine Beiz eröffnen.

Sie sehen also schwarz für die Branche?

Pedroncelli: Betriebe, die sehr sauber arbeiten und etwas Besonderes anbieten, zum Beispiel Ausflugslokale, haben auch heute noch eine reelle Chance. Aber auch da ist es nötig, dass der Gastronom eine knallharte Rechnung vornimmt. Denn wir haben in der Branche auch das Problem mit Dumpingpreisen. Um zusätzliche Kunden zu gewinnen, sind einzelne Gastronomen bereit, das Menu einen Franken tiefer anzubieten als die Konkurrenz. Sie gewinnen damit zwar Gäste dazu, machen aber gleichzeitig andere Gastronomen kaputt. Junge Unternehmer, die ihr Leben in dieser Branche verbringen wollen, müssen wirklich auf neue Konzepte setzen.

Findet also auch ein Strukturwandel statt? Traditionelle Beizen schliessen gerade auf dem Land, neue Konzepte sind erfolgreich?

Pedroncelli: Ja. Was für Gastronomen arbeiten denn auf dem Land? Es ist meistens ein Ehepaar, welches sich die zwölf bis 14 Stunden aufteilt. Das geht heute einfach nicht mehr. Aber kürzen geht auch nicht, denn am Jahresende muss sich auch der Landbeizer über Wasser halten können. Eine Ausnahme ist die oben erwähnte Spezialisierung. Aber um etwas Kreatives umsetzen zu können, muss der Betrieb auch über die nötigen Voraussetzungen verfügen.

Wie erleben Sie die Veränderung des Konsumverhalten?

Pedroncelli: Der vegane Trend ist omnipräsent, für seriöse Gastronomen aber gar nicht so einfach zu handhaben. Wenn ein Betrieb sich nicht auf Veganismus spezialisiert, kann er nicht, oder nur mit viel Zusatzaufwand, vegane Menus anbieten, da seine Küche oft gar nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügt. Auf jeden Fall generiert es Zusatzkosten: Es wird abgetrennter Platz benötigt und die speziellen Produkte verursachen Zusatzkosten, vor allem, wenn der Gastronom sie nicht täglich braucht. Dies im Gegensatz zur Zubereitung von vegetarischen Menus, diese können vom Gastronom unkompliziert umgesetzt werden. Die Lieferservice-Thematik wiederum halte ich weder ökologisch noch ökonomisch für nachhaltig. Wenn wegen zwei Pizzen ein Auto irgendwohin karrt, ist das doch irrsinnig. Dies wiederum in Abgrenzung zum Take-Away, welcher für einen Gastronomen durchaus Sinn macht, da die vorhandene Infrastruktur besser ausgenützt werden kann.

Was muss sich Ihrer Meinung nach auf Kundenseite ändern?

Pedroncelli: Die Kunden müssen aufgrund all der bisher ausgeführten Gründe bereit sein, höhere Kosten zu akzeptieren, wobei natürlich die Gastronomen auch einen Service bieten müssen, der die Preise rechtfertigt.

Was unternimmt Gastro Schaffhausen, um die Branche attraktiver zu machen?

Pedroncelli: Wir sind, zusammen mit Gastro Suisse, vor allem in der Weiterbildung aktiv. Besonders wichtig sind dabei Kurse in den Bereichen Finanzen, Mitarbeiterakquisition und Personalführung. Weiterbildungen sind vielfach auch eine Innovationsstätte, wo neue Ideen entstehen und der Austausch oft auch in einem Coachinggespräch mit dem Dozierenden endet. Verbessern müssen wir in der Branche die Personalvermittlung, das heisst, die Unterbringung von Personal, welches nach einer Gastroschliessung auf der Strasse steht. Die Betroffenen müssen wir besser für andere Betriebe rekrutieren können und dürfen sie nicht durch Umschulungen verlieren.

Renato Pedroncelli

 

Der italienisch-schweizerische Doppelbürger Renato Pedroncelli ist verheiratet, hat vier erwachsene und sechs Enkelkinder und ist in Thayngen wohnhaft. Nach einer Gastronomielehre im Kanton Uri absolvierte er seine Auslandjahre bei Mövenpick, Holiday Inn und bei Swissair in Frankreich. Zurück in der Schweiz, war er an verschiedenen Orten tätig, bevor er in Unterschlatt den Landgasthof Lamm übernahm, zuerst als Gastronom, danach als Pächter. Es folgte von 1993 bis 1998 die Pacht der Rheinperle in Diessenhofen. Schliesslich erwarb er zusammen mit seiner Frau in Thayngen den Landgasthof Hüttenleben, welchen er über 20 Jahre lang erfolgreich bewirtschaftete. Seit Oktober 2022 ist Pedroncelli pensioniert, jedoch noch als Gastroberater im Schlössli Wörth und als Präsident von Gastro Schaffhausen tätig.

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